Frauengeschichte(n)
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"Zwei Frauen" von Daniela  (Schweiz, geb. 1962)
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Ich erzähle euch eine Geschichte aus meinem Arbeitsalltag, weil die Arbeit auch ganz stark mein derzeitiges Leben prägt. 
Ich bin seit mehreren Jahren als Sozialarbeiterin in einer größeren Schweizer Stadt tätig. Dort bin ich verantwortlich für die Ausrichtung der wirtschaftlichen Hilfe und für Kinderschutzmaßnahmen. Vor etwa drei Jahren – ist eine Neuanmeldung gekommen. D. h. ein neuer Fall, eine Person fragt neu um Sozialhilfe an. Es gab eine Notiz, dass diese Person schon beim Gesuch stellen sehr aggressiv war. Wenn die Unterlagen zusammengestellt sind, ist es meine Aufgabe, die Personen, die finanzielle Unterstützung ersuchen, zu einem Gespräch einzuladen. Ich erinnere mich, dass ich eine Frau, mit einem sehr ausländischen Namen eingeladen habe, etwa der gleiche Jahrgang wie ich, und als sie in mein Büro kam, habe ich gestaunt, was für eine wunderschöne Frau da mein Zimmer betritt. Groß gewachsen – sehr muskulös – sehr stark. Als sie dann mit der Stimme eines Mannes gesprochen hat, habe ich mich zuerst richtig erschrocken. Sehr schnell realisierte ich jedoch, dass es sich um eine transsexuelle Frau handelt. 
Diese Frau lebt nun schon seit mehreren Jahren in der Schweiz. Sie hat nach ihrer Geschlechtsumwandlung, die seit sehr, sehr vielen Jahren irgendwo außerhalb der Schweiz – aber noch in Europa - stattgefunden hat, in verschiedenen Ländern immer wieder in der Prostitution gearbeitet, weil sie sonst kein anderes Einkommen erzielen konnte. Die Prostitution ist für transsexuelle Personen häufig verbunden  mit einem massiven Konsum von Alkohol und Drogen. Nur so können sie es überhaupt ertragen. Die Frau hat ebenfalls stark Drogen konsumiert. Von diversen Cabaret-Besitzern wurde sie ausgenutzt, wenn sie jeweils als Tänzerin gearbeitet hat. 
In diesen vielen Jahren hat sie starke gesundheitliche  Probleme bekommen und ist auch depressiv geworden. Was anscheinend sehr vielen transsexuellen Menschen passiert. Sie konnte keiner Erwerbsarbeit, auch nicht im Sexgewerbe, nachgehen. 
So hat sie bei mir Unterstützung gesucht. Sie war aber sehr, sehr misstrauisch gegenüber allen staatlichen oder amtlichen Stellen. 
Zuerst habe ich mir ihre Lebensgeschichte angehört, wie sie in Malaysia aufgewachsen ist und sich eigentlich schon immer als Mädchen – als Frau gefühlt hat. Was aber in diesem Land sehr schwierig war und wie sie dann die beschwerliche Reise im Alter von 20 Jahren nach Europa auf sich genommen hat und was sie da alles erlebt hat. Ich habe ihr einfach zugehört, sicherlich eine Stunde lang.
Ich habe gewartet, bis sie geendet hat und ihr gesagt, dass alles meiner Schweigepflicht unterliege. Dass ich nicht gewertet habe – über ihr Leben und was sie alles legal und illegal bereits gemacht hat, das muss diese Frau sehr erstaunt haben. Sie hat geweint und gesagt, dass noch nie jemand in einem Amt so viel Verständnis für sie gezeigt hätte. 
Einige Tage später ist ein zweites Dossier zu mir gekommen. Es war eine weitere transsexuelle Frau, die ebenfalls ein Unterstützungsgesuch für finanzielle Hilfe gestellt hat. Sie hat explizit gesagt, dass sie gerne zu mir in die Sozialberatung kommen möchte, weil ich ihr empfohlen worden sei. Diese Frau ist Israelin und hat ebenfalls eine Operation gemacht und ist jetzt Frau. Sie hat Ähnliches erlebt, wie ihre Freundin, noch mit dem Hintergrund, sehr stark von der jüdischen Gesellschaft geprägt zu sein. Auch diese Frau erwies erhebliche Verletzungen auf. Auch sie wurde häufig Opfer von Gewaltübergriffen und hatte seelische und körperliche Narben. 
So begann die Geschichte mit den beiden. Sehr häufig sind sie zu zweit in meine Sprechstunde gekommen. Fast wie ein Ehepaar. Ich habe immer versucht sie zu stärken – ich habe ihnen eine schönere Wohnung vermittelt – ich habe ihnen empfohlen, dass sie neben ihren Arztbesuchen wegen ihrer Depressionen, doch probieren sollen, vielleicht im kreativen Bereich etwas zu machen. Denn eine berufliche Integration ist in diesem Alter und mit diesem Hintergrund unmöglich.
Die ganzen Jahre war dies immer wieder Thema für die beiden Frauen. Was aber eher selten auf amtlichen Stellen passiert – sie haben sich jedes mal bei mir für die Beratung bedankt.

Es ist nun so, dass ich nach drei Jahren Basisarbeit die Funktion wechsle. Ich werde weggehen. Den Personen, die ich betreue, kündige ich vorher an, dass  ich die Stelle wechsle. So auch diesen beiden Frauen.
Was mich im Nachhinein sehr bewegt hat und immer noch bewegt, ist, dass die eine Frau gesagt hat: „Sie waren für mich und meine Freundin wie ein Engel.“ Sie weinte dabei. Das war sehr ergreifend für mich.


 
Bitte sende Deine Geschichte an: 
Elke Werneburg - email: art-herstory@web.de